18/1–2/3/2019 I GESTEIN – Soil, Sediment, Stone | kunstverein kaernten, klagenfurt, AU | Kuratiert von Judith Heßler und Inka Lusis
Nadja Frank, Markus Guschelbauer, Pia Matthes, Silvia Noronha, Arne Schmitt, Wang Sishun, Irina Valkova, Inge Vavra, Nico Joana Weber
Silvia Noronha
*1984 in Belo Horizonte (BR), lebt und arbeitet in Berlin (DE)
Die Übersetzung materieller Beschaffenheiten der Erde in spekulative Objekte aus Glas, Keramik und Gestein, ist eine zentrale Praxis in Noronhas Arbeiten. Diese Art ästhetischer Experimente, wie Sie sie selbst auch bezeichnet, sind Hinweise auf anthropozäne Eingriffe in unterschiedliche Schichten und Regionen der Erde.
Es entstehen Objekte in Rückgriff auf durch den Menschen belastete oder bearbeitete Böden, wie es u.a. in The Future of Stones — speculation on contaminated matter (Brazil) zu sehen ist. 2015 ereignete sich in dem brasilianischen Bergdorf Bento Rodrigues eine Umweltkatastrophe gewaltigen Ausmaßes: die Dämme von einem Rückhaltebecken eines Eisenerztagebaus brachen, in Folge dessen sich eine riesige Schlammlawine in das darunter liegende Tal ergoß. Nahegelegene Gewässer und Flüsse wurden durch die Eisen-Sedimente verseucht, wodurch eine hohe Menge an kontaminiertem Wasser in den Atlantischen Ozean gespült wurde.
Silvia Noronha hat im betroffenen Gebiet Erd- bzw. Lehmproben entnommen und sie zu Gesteinen aggregiert, um eine Bestandsaufnahme der erdlichen Materie abzubilden. Die Steine sind Zeugen und Resultat der durch menschliche Eingriffe in die Natur verursachten Katastrophe.
Neben den Mineralien und Sedimenten aus der geologischen Sammlung des Landesmuseums Kärnten, stehen Noronhas Steine für eine posthumane Geologie, in der sich nicht mehr nur erdhistorische, sondern auch menschliche Prozesse abbilden. Noronha schreibt: „Die Zukunft der Steine wird von menschlichen Aktivitäten geprägt sein — dies wird einen signifikanten Einfluss auf die Geologie der Erde und deren Ökosysteme haben.“
GESTEIN – Soil, Sediment, Stone
Gesteine werden, obwohl sie einen Großteil unserer Erdoberfläche formen, häufig als unscheinbare und leblose Gefüge wahrgenommen. Einen großen Anteil der Gesteine bilden Minerale, die kristalline chemische Verbindungen sind. Zum einen legen sie den Grundstein für Leben auf der Erde, zum anderen spielen sie eine wesentliche Rolle bei der Entstehung moderner Gesellschaften. Diese in Felsen und Böden enthaltenen Elemente und Verbindungen besitzen spezifische chemische und physikalische Eigenschaften, die u.a. zur Beschleunigung technischer Geräte oder für die Stabilität im Städtebau eingesetzt werden.
Zugleich dient der Boden, besonders gebirgige Strukturen, als Archiv umweltlicher Prozesse. Die Sedimente und Mineralien, die sich dort über Jahrhunderte ablagern, sind stille Zeugen materieller und geologischer Veränderungen.
Umgeben von den österreichisch-slowenisch-italienischen Alpen – einer enormen Gesteins-Dichte – setzt sich die Ausstellung GESTEIN – Soil, Sediment, Stone im Kunstverein Kärnten mit den geologisch-petrologischen Eigenschaften unserer Erde auseinander. Sie eröffnet neue Perspektiven auf den Boden, auf dem wir uns bewegen, zu den Gebirgen, die uns umgeben, und gibt spekulative Aussichten darauf, wie Sedimentgesteine aus dem Jetzt in der Zukunft aussehen könnten.
An zahlreichen Punkten der Ausstellung werden naturwissenschaftliche Bezüge hergestellt, die sich gleichzeitig anhand philosophischer Gesichtspunkte hinterfragen und erweitern lassen – so zum Beispiel im Smithson’schen Sinne des „durch die Erde Denkens“ oder der Ablagerung und Akkumulation von Wissen. Die in GESTEIN gezeigten Positionen setzen sich auf vielfältige Weise mit den Themen Gestein, Mineralien, Böden, Erde, Gebirge und Sediment auseinander. Blicke ins Innere der scheinbar leblosen Objekte zeigen eine Vielfalt an bunt-funkelnden Elementen, die jedes für sich Teil des erdlichen Ökosystems sind. Es zeigt sich das Gebirge als Sinnbild materieller Anhäufung von gesellschaftlichen Produktionsgütern, während Makroaufnahmen von Gebirgen, Querschnitte von Felsgestein oder Panoramaaufnahmen symbiotischer Alpen-Gebilde den Maßstab zum Grund und Boden, auf dem wir wandeln, ein Stück weiter in ungewohnte Bereiche der Wahrnehmung verschieben.
Die nähere Betrachtung und Hinwendung zu Gesteinsobjekten zeigt, dass sie nicht nur materielle Träger von organischen und anorganischen Spezies sind, sondern auch wichtiger Bestandteil von kultureller, ästhetischer Praxis und ideologischer Überhöhung. Als Schmuckstein oder zu skulpturalen Formen gehauen, nehmen Steine historisch gesehen eine beispiellose Rolle innerhalb vieler Kulturen ein.
Das vielschichtige Ineinanderwirken von Gestein, Erde und Mensch führt über die Idealisierung jedoch auch zur industriellen Ausreizung natürlicher Rohstoff-Quellen, zu Umweltkatastrophen und schließlich zu der Frage, wie zukünftige Gesteine aussehen werden, wenn die Erdoberfläche durch menschliche Produktionsprozesse zunehmend verändert wird. Die Ausstellung gewährt hier Einblicke in mögliche zukünftige Gesteinswissenschaften ebenso wie in spekulative Archäologie, die nicht mehr von der Bestandsaufnahme natürlicher Proben, sondern von menschlichen Hinterlassenschaften geprägt ist – einer Steinwerdung anthropogener Prozesse. So entsteht eine Rückkopplung menschlich-produzierter Materialien auf Erde und Böden, die neue Symbiosen und Formgebungen erlaubt.
Evolutionswissenschaftlich wird angenommen, dass nur durch die Reaktion mit organischen – tierlichen – Spezies eine so hohe Vielfalt an Mineralien entstehen konnte. Im Gegensatz dazu tragen die Kristalle zur Entwicklung von lebenden Organismen, Pflanzen, Tieren und, in der heutigen Zeit, auch zu technischem Fortschritt bei. In GESTEIN lässt sich dies auch in den Exponaten der mineralogischen Sammlung des Landesmuseums Kärnten erkunden, die sowohl lokale Gesteinsproben enthalten, als auch Mineralien, die durch industrielle Produktion teils unbemerkt Einzug in unser aller tägliches Leben gefunden haben.
Judith Heßler und Inka Lusis
1 – Robert Smithson: A Sedimentation of the Mind: Earth Projects (1968). In: Klingan, Sepahvand, Rosol, Scherer: Textures of the Anthropocene: Grain Vapor Ray – Grain. Cambridge, USA, 201), 13–32.